Gebet II
Gott ist unendlich mehr als eine Gottesidee, er ist die Gottesmajestät. Er ist auch unendlich mehr als eine wirksame Gotteskraft, er ist die bewusst handelnde Gottes-Souveränität … Seine Offenbarung in Christo ist nicht nur eine Dynamik, sie ist Gottes Dynamis, die Person gewordene Kraft Gottes … Also nur unter der Voraussetzung, dass Gott wirklich Gott ist, hat es einen Sinn, dass der Mensch in seiner Not und in seiner Ohnmacht seine Zuflucht zu ihm nimmt. Nur wenn Gott nach einem Pauluswort alle Dinge in Segen zu verwandeln mag, hat es einen Sinn, sich im Gebet an ihn zu wenden. Wenn Gott auch lange nicht alles Flehen und Bitten erfüllt, so darf der Betende dennoch in der Glaubensgewissheit stehen, dass für ihn auch Gottes Nein letzthin nur ein Ja bedeuten muss. Hat man die Zuflucht des Menschen zu Gott auch immer wieder als einen Ausdruck der Schwäche bewertet, in ihr fanden Ringende aber jene weltüberwindenden Kräfte, die sie nie in sich selbst hätten finden können. Auf den Knien sind Siege errungen, Verzweiflungen überwunden, Hoffnungen gewonnen worden, wie sie Zusammengebrochene ohne Gottes Eingreifen nie hätten erleben können.
Zitat-Nr: 1214; Quelle: 6;
Der Inhalt einer solch lebendigen Zwiesprache wird nun immer so mannigfaltig, reich und tief sein, so mannigfaltig reich und tief die Glaubensgemeinschaft eines Menschen mit Gott ist. Denn Menschen, die im Umgang mit Gott stehen, wird letzthin ihr Leben mit seinem reichen, wechselvollen Inhalt zum Anlass ihres Gebets. Sie machen Gott zu ihrem ständigen Seelsorger, dem sie in großer Freimütigkeit auch das Geheimste ihres Lebens anzuvertrauen wagen. Von Martin Luther haben wir das schöne Wort: „Auch ein Seufzerlein eines Christen ist Gebet; so oft er seufzt, so betet er.“
Zitat-Nr: 1215; Quelle: 6;
Gott lebt nicht etwa seiner Souveränität. Sein souveränes Handeln soll vielmehr für den Menschen zu einer Offenbarung werden … Gott führt in seiner Offenbarung auch keine Selbstgespräche. Vielmehr versucht er, im Wort zum Menschen zu kommen, um ihn zu trösten und zu stärken, zu erleuchten und zu leiten; oder aber auch, um ihn zu warnen und in die Entscheidung zu stellen. Und spricht Gott, so spricht er in seiner Offenbarung immer zu bestimmten Personen, zu einer augenblicklichen Lage der Geschichte, zum Betenden in seiner Not. Beten wäre wirklich Unsinn, wenn Gott sein Herrsein über Schöpfung und Geschichte nicht in den Dienst seiner Offenbarung stellen würde.
Zitat-Nr: 1217; Quelle: 6;